FREITAG: Alter, das Meer!

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Ich bin reif für die Seniorenresidenz, habe ich festgestellt. Aber nicht, weil ich vielleicht schon in einem entsprechenden Alter wäre, sondern weil ich angeregt wurde, über das Wohnen im Alter nachzudenken.

Was an jenen Tagen passiert ist, als ich das erste Mal das Meer gesehen habe, liegt jenseits meiner Erinnerung. Die früheste setzt ein, wenn ich an meine erste Pasta mit Muscheln denke, die ich an der Adria gegessen habe. Und seitdem immer wieder: das Meer. Meine Eltern haben mir einmal ein klingendes Geburtstagsalbum geschenkt, in dem sie zu den Bildern ihre Erinnerungen erzählt haben. Ein Satz darin: „Und immer wieder das Meer.“ Das war wohl der Moment, in dem ich mir dieser permanenten Sehnsucht so richtig bewusst geworden bin. Ja, es muss immer wieder das Meer sein, und ein Urlaub ohne Gischt ist kaum vorstellbar. Selbstverständlich ist mir klar, dass ich mich dadurch von sehr vielen wunderschönen Destinationen dieser Welt freiwillig abschneide, aber hey, man kann nicht alles haben. Letztes Jahr habe ich es einmal ohne Meer versucht, mir ein Domizil über den Wolken gesucht. Das ging irgendwie, doch das Rauschen hat mir ziemlich gefehlt, auch wenn die Vögel sich um Kopf und Kragen gesungen haben, um das auszugleichen.
Als ich vor Jahren ein Coaching gemacht habe, sollte ich mir meinen Sehnsuchtsort vorstellen, an dem ich schreiben könnte. Noch heute weiß ich jedes Detail der Einrichtung, die Farben und selbstverständlich den Ausblick. Raten Sie mal! Aufs Meer natürlich. Daran musste ich denken, als ich eine Buchpräsentation besuchte, deren Thema „Jetzt das Wohnen für später planen“ war. Die sehr kluge Herangehensweise der Autorinnen: Wenn die Wohnung oder das Haus mehr Energie kostet als sie oder es bringt, ist es Zeit, über das Leben im Alter nachzudenken. Das machte mich nachdenklich, ja fast schon sehnsüchtig nach diesem Meeresblick, den kein Strauchschnitt, kein stundenlanges Staubsaugen, kein vollgestopfter Hauswirtschaftsraum trübte. Dort „war“ ich einfach nur, habe das getan, wonach mir war (und selbst ohne Arbeit ist mir immer nach sehr viel) und musste mich um nichts kümmern. Das ist es nämlich, was mich oft sehr viel Energie kostet. Was für andere ein Klacks ist, kann ich tagelang prokrastinieren. Den aktuellen Scheiterhaufen in meinem Garten beispielsweise. Nachdem ich momentan niemanden habe, den ich dort gedanklich verbrennen sollte, könnte er eigentlich weg. Doch dieser Anruf beim Wertstoffhof! Ich weiß nämlich schon, was mich erwartet: ein ziemlich ungenauer Abholtermin, den ich so nicht akzeptieren kann, weil ich zum Entfernen des Haufens aus meinem Garten hinaus auf die Straße Hilfe brauche, die nicht jederzeit verfügbar ist. Der Greifarm kann nicht übers Tor fahren, weil Bäume diesen Weg behindern. Und würde ich den Scheiterhaufen dorthin schieben, wo er erreichbar wäre, kann ich mit dem Auto nicht mehr aus der Garage. Das alles erkläre ich dem Mann am anderen Ende der Leitung jedes Jahr zweimal, und jedes Mal ist es ein Wahnsinnsakt, ihn dazu zu bringen, mir einen genauen Tag zu nennen. Habe ich erwähnt, dass es mich unendlich ermüdet, die immer gleichen Gespräche führen zu müssen, selbst wenn sie nur zweimal im Jahr stattfinden?
Wäre ich in einer Seniorenresidenz (idealerweise in Strandlage), würde jemand anderer diese Unterhaltungen führen. Denn ich verbrächte meine Zeit damit, in Palmenwipfel zu kontemplieren, statt mir darüber Gedanken zu machen, wie und vor allem wann ich die Wipfel meiner Trauerweide aus meinem Garten entfernen lasse. Natürlich hätte ich in dieser Residenz auch einen Balkon oder eine Terrasse, auf der ich dann Strauchtomaten und Miniäpfel ziehe, Blumen sind obligatorisch. Doch, halt! Wie bringe ich die Erde auf meinen Balkon? Und die Töpfe, die in ihrer Sturmresistenz natürlich auch ein gewisses Gewicht haben müssen? Und angesichts der äußerst windigen Endtage in Kapstadt muss ich mich auch fragen, ob ich das permanent brauche, dieses Blasen aus allen Richtungen, selbst wenn sich mein Kopf immer freut, wenn er gewisse Gedanken dem Wind übergeben kann. Doch irgendwann wird selbst mein Kopf leer sein, und was verbläst der Sturm dann? Mich und meine Ruhe.
Als ich einer Freundin meine Sehnsucht nach der Seniorenresidenz erzählte, sagte sie, dass ich ohne meinen Garten nicht sein könnte. Und vermutlich hat sie recht, auch wenn er mir manchmal buchstäblich über den Kopf wächst. Da hilft es ungemein, Menschen um sich zu haben, die helfen – und das gerne. Weil sie den Wert eines Gartens zu schätzen wissen. Wie ich ja auch. Ich denke deshalb, dass ich noch einige Jahre die Energiebalance halten kann, doch irgendwann einmal werde ich es versuchen. Mit dem Meer.

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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