Als Arbeitstier, das ich bin, ist ein Tag ohne Arbeit fast ein verlorener. Mein Beruf macht es mir einfach, vieles aus dem Alltag eben als Arbeit zu sehen. Das darf sich ändern.
Ich kann mich an Jahre erinnern, wo ich mir maximal zwei Wochen Urlaub gegönnt habe. Es war die Zeit, in der ich meine Selbständigkeit aufgebaut und mir eingeredet habe, dass jeder Auftrag wichtig ist und mir entgehen würde, sollte ich das Telefon auch nur fünf Mal läuten lassen, ohne dranzugehen. Das hat mir den Ruf eingebracht, sehr verlässlich und eine perfekte Ansprechperson zu sein, wenn die Hütte brennt. Als meine persönliche Hütte brannte, musste ich mir eingestehen, dass zwei Wochen Urlaub im Jahr schon deshalb zu wenig waren, weil ich in den 14 Tagen ja auch gedanklich bei meiner Profession war. Das war auch die Phase in meinem Leben, wo ich zwar zufrieden war, aber auch gemerkt habe, dass da noch mehr in eine Existenz gehört.
Studien haben ergeben, dass es fünf Stärken braucht, um sein Leben zu lieben. Und die Big Five habe ich in mein Dasein integrieren dürfen während der letzten neun Jahre. In Ansätzen waren sie schon da, doch vieles in meinem damaligen Leben hat sie einfach zugeschüttet. Und ich hatte anderes im Sinn, als sie freizuschaufeln. Doch wenn es etwas ist, was früher oder später an die Oberfläche kommen muss, dann Hoffnung, Vitalität, Dankbarkeit, Neugier und Liebe.
In vielen Teilen dieser Welt, vor allem aber in den Nachrichten wird die Hoffnung klein gehalten. Was soll es schon zu hoffen geben, wenn am Gehsteig vor dem Haus eine Bombe einschlägt, ein simpler Konzertbesuch das eigene Sein erschüttern kann oder Menschen sich einfach nicht wahrgenommen fühlen? Ich durfte lernen, dass Hoffnung etwas zutiefst persönliches ist, nämlich dann, wenn man sich selbstwirksam fühlt. Wenn man sich ein Ziel setzt, Wege dorthin überlegt und sie dann auch geht. Und dabei ist es erst von sekundärer Bedeutung, ob wir bereits auf der ersten Route ans Ziel kommen. Die Priorität liegt darauf, dass wir für uns einen Plan haben und uns erlauben, auch das Unwahrscheinliche und Unmögliche, vielleicht sogar das Ungeliebte mitzudenken. Hoffnung kann dann sterben, wenn wir uns selbst im Wege stehen. Uns für die Möglichkeiten zu öffnen, lässt auch die Hoffnung wieder erblühen.
Viele Jahre bin ich wie eine Verrückte jeden Tag schnell spazieren gegangen, weil ich Energien in mir gespürt habe, die ich loswerden wollte. Andere gehen ins Fitness-Studio, wieder andere schwimmen, joggen oder rudern. Jede und jeder hat seine eigene Art und Weise, Dampf abzulassen. Und das ist auch wichtig. Der Körper braucht Bewegung, idealerweise in der frischen Luft. Und nein, das Heben von Glühweinbechern am Christkindlmarkt zählt nicht zu dieser Art von Bewegung, die uns Vitalität schenkt. Ich habe nichts gegen die feucht-fröhliche Vorweihnachtszeit im Getümmel, alles gut. Doch wenn man am nächsten Tag mit einem Nebelschädel aufwacht, sollte allen klar sein, dass unser Tun nicht gerade wertschätzend gegenüber unserem Körper war. Umso wichtiger ist es, dann erst recht den Sonnengruß zu machen, eine Runde zu laufen oder Gewichte zu heben – je nach Gusto. Ich war ein ziemliches Partygirl über weite Strecken der vergangenen neun Jahre, mein Power Walking blieb trotzdem auf dem Programm. Gerade mit voll50 verzeiht uns unser Körper immer weniger, wenn wir ihn nicht regelmäßig fördern und fordern.
Dass mein Körper sehr freundlich zu mir ist, beobachte ich mit sehr viel Dankbarkeit. Es hätte auch anders kommen können, trotz meiner guten Gene. Doch der physische Aspekt meines Daseins ist nur einer von vielen, die mich demütig machen. Jede Ameise, die im Frühling durch mein Badezimmer läuft, begrüße ich als Überlebende nach einem harten Winter und freue mich über den Haufen, den sie mit ihrer Kolonie auf meiner Terrasse anlegen wird. Ich bin dankbar für das wilde Grün in meinem Garten, auch wenn es Arbeit macht. An heißen Tagen ist es unter den Bäumen mindestens zwei Grad kühler als auf der Straße. Mein Beruf macht mir Freude, genauso mein soziales Umfeld – eigentlich mein gesamtes Dasein. Und da blicke ich nicht auf die großen Dinge, sondern auf das Alltägliche. Dass ich WLAN habe, um mit meinem Mann in Kapstadt telefonieren zu können. Dass mich eine Katze als Obsorge ausgewählt hat und sich hier wohl fühlt. Dass ich einen kleinen Buben allein damit glücklich machen kann, wenn ich mit ihm Ball spiele. Dankbarkeit ist ein essentieller und auch aktiver Teil meines Lebens, aus diesen und noch viel mehr Gründen.
Nicht nur einmal habe ich mich an dieser Stelle über mein mangelndes Zeitmanagement beschwert, und nein, viel besser ist es nicht geworden. Andererseits: Ich bin einfach zu neugierig auf dieses Leben, eigentlich auf jeden Tag. Denn keiner läuft wie der andere, immer kommt etwas dazu oder fällt etwas weg. Vor langer Zeit habe ich begriffen, dass ich mein Leben zwar lenken, aber nicht kontrollieren kann. Diese Haltung hat die Tür für Neues sperrangelweit aufgemacht, mein Leben bereichert und es bunt gemacht. Selbst wenn ich mir manchmal mehr Struktur für meinen Alltag wünsche – hätte ich dann noch Platz, um meine Neugier zufrieden zu stellen? Käme dann überhaupt noch etwas? Oder wäre ich gefangen in diesen Strukturen, nur damit ich sagen kann, dass es in meinem Haus keine Spinnweben, Wollmäuse oder Katzenspuren gibt? Keine sehr attraktive Perspektive. Dass jetzt bald Hunde zu meinem kleinen Privatzoo stoßen werden, reizt einmal mehr meine Neugier. Bei einem Vortrag zum Thema „Hunde verstehen“ war ich bereits.
Und zum Schluss die Liebe. Sie ist eine Kraft, der sich keiner entziehen kann. Kürzlich hat mir jemand geschrieben, der meinte, dass man sparsam mit ihr umgehen müsse. FALSCH! Liebe gehört unter die Leute, und zwar unter alle. Ich bin eine Anhängerin der universellen Liebe, seit ich weiß, dass sie ansteckend ist. Seit ich weiß, dass sie die einzige Alternative zu Angst ist. Seit ich weiß, dass wir alle viel zu kurz greifen, wenn wir sie nur über jenen versprühen, die uns nahe stehen oder von denen wir uns etwas erwarten. Ich habe gelernt, dass ich alles lieben kann: das Meer, einen Strohhalm, die oben erwähnte Ameise und natürlich meinen Mann. Mein Herz ist groß genug für alles, weil ich das so entschieden habe. Wohlwollen ist mein Mindeststandard, alles darunter ist jenseits meiner Würde. Und wenn sich jemand tatsächlich daneben benimmt, zeige ich ihm oder ihr meine Grenzen mit klaren, ruhigen Worten. Denn ich gehe davon aus, dass zwar das Verhalten mangelhaft war, der Mensch selbst im Grunde trotz seines Fehlverhaltens gut ist. So können beide in ihrer Würde bleiben, ohne die Gürtellinie zu unterschreiten.
Für mich ist jetzt die Zeit, wo ich Hoffnung, Vitalität, Dankbarkeit, Neugier und Liebe wieder aktiv auf meinen Schirm holen möchte. Deshalb mache ich jetzt eine einmonatige Pause. Auch wenn’s mein Arbeits-Ich triggert, das mir ins Ohr flüstert, dass ich das doch nicht machen kann. Doch, kann ich. Und wie! Deshalb an dieser Stelle schon jetzt: Frohe Weihnachten und ein hoffnungsvolles, vitales, dankbares, neugieriges und liebevolles 2024.
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PS: Den nächsten Blogbeitrag gibt es am 12. Januar 2024.