Kürzlich habe ich gelesen, dass Gender Marketing dazu beiträgt, bestehende Geschlechter-Missstände noch weiter zu vertiefen. Und auch wenn ich aufgrund meines mangelnden Medienkonsums da vielleicht nicht mitreden kann: Ein Glas Prosecco kann ich darauf allemal trinken.
Kürzlich bei der Präsentation eines Veranstaltungskonzeptes, das sich mit Nachtspaziergängen für Frauen durch den Wald beschäftigte. Ich kenne Leute, die halten heimische Landeshauptstädte schon für Klein-Kairo, was kann einem da erst im Wald passieren? Ich empfehle einen Naturerlebnispädagogik-Tag in demselben, da lernt man Hören und Sehen auf ganz wunderbare Art und Weise. Wie auch immer: Die Vortragende hatte sich für ihre nächtlichen Spaziergänge von einem Folder über eine Ladies‘ Night inspirieren lassen. Grundsätzlich keine schlechte Idee, denn manchmal braucht man das Rad nicht immer wieder neu erfinden. Doch als sie das Ausgangspapier durch die Runde gehen ließ, fiel mir eines auf.
Der Prosecco. Und heute beim Durchblättern eines Magazins das gleiche, gepaart mit dem Wellness-Angebot einer Therme. „Bei einem Glas Prosecco…“ kann frau einfach viel besser ihr Dasein genießen oder so ähnlich. Wann hat das begonnen, dass wir Frauen ganz unzweifelhaft mit bestimmten Getränken und Speisen assoziiert werden? Mir passiert das laufend. Letzte Woche war ich mit einem Mann essen, er wählte als Vorspeise einen Salat, ich eine Suppe. Als der Kellner kam, schaute er mich mit zielsicherem Blick an und reichte das Saure in meine Richtung. Mein Fingerzeig belehrte ihn eines Besseren. Und als ich mit einem anderen Mann etwas trinken war und er sich einen Spritzer bestellte, war sich die Servierperson ziemlich sicher, dass das Bier zu meinem alten Freund gehörte.
Hat der Film „Frauen, die Prosecco trinken“ etwas mit dieser Schubladisierung zu tun? Oder steht da ganz große Lobbyarbeit entsprechender Kellereien dahinter? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir es hier mit so etwas wie Gender Marketing zu tun haben, das offenbar gerade ziemlich boomt. Die Frage ist nur, ob wir dadurch nicht erst recht in Kategorien geschaufelt werden, die uns wenig entsprechen. Besonders schön in diesem Zusammenhang fand ich eine Studie aus dem Frühjahr des ablaufenden Jahres. Sie besagte, dass Frauen, die Alkohol trinken, als sexuell verfügbar wahrgenommen werden, Männer hingegen nicht. Geht’s noch?
Ich bin keine Feminismus-Amazone (mein Vater würde mir an dieser Stelle vermutlich widersprechen) und verstehe auch, dass der Mensch gewissen Kategorien braucht, um sich in dieser Welt einigermaßen orientieren zu können. Geschenkt. Doch wenn einen die Kategorisierung davon abhält, Menschen wahrzunehmen, dann hört es sich für mich auf. Natürlich ist es ein Aufwand, jeden Tag als einen neuen Tag zu betrachten, jeden Menschen in seiner Tagesverfassung zu beobachten. Doch anders kann es in meiner Welt nicht gehen, wenn wir das Gefühl füreinander behalten möchten. Wo kommen wir denn hin, wenn wir jeden Menschen einfach ablegen und ihm damit jede Chance verwehren, sich zu entwickeln? Wir kommen in einen Zustand, der uns zunehmend versteinert. Weil ja alles bleibt, wie es immer war. Ein Mensch war immer schon erzkatholisch – warum sollte er Buddhist werden? Ein Mensch hat immer schon vegetarisch gegessen – warum sollte er plötzlich Fleisch essen? Ein Mensch zählte sich immer schon zur Rolling Stones-Fraktion – warum sollte er auf einmal Beatles hören? Ganz einfach: weil das Leben ein Fluss ist. Und das normal ist, wie etwas in meiner Welt nur normal sein kann.
Unsere Zeit führt uns nur zu deutlich vor Augen, dass vieles transformiert werden muss, was lange eben in Stein gemeiselt war. Dagegen kann man sich mit viel Kraft stemmen, klar. Doch das KOSTET auch Kraft – und Lebensfreude. Denn einen Zustand zu beklagen, den es nicht mehr gibt, macht trübsinnig. Viel empfehlenswerter wäre es, das Neues willkommen zu heißen und es zu feiern – von mir aus auch mit einem Glas Prosecco. Solange ich ein Bier trinken darf…