FREITAG: Die Ineffizienz von Interpretationen

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Manche Dinge ändern sich einfach nicht, auch nicht mit zunehmendem Alter, und schon gar nicht bei Frauen. Denn irgendwo haben wir das Interpretationsgen versteckt, das sich weder abschalten noch zertrümmern lässt.

Kürzlich bei einem Mädelsabend ganz großes Kopfkino: Die eine fliegt mehrere Monate auf einen anderen Kontinent, um dort zu arbeiten, und denkt schon jetzt darüber nach, wie sie die eine Woche zwischen Weihnachten und Neujahr allein überbrücken könnte. Nicht, dass es allein eine reine Planungssache wäre – Sehenswürdigkeiten gibt es genügend. Doch: Wie werde ich mich fühlen? Werde ich mich langweilen, einsam sein, mich an irgendjemanden klammern, um das zu verhindern? Angst macht sich breit angesichts der Freiheit, mit der frau (noch) wenig bis nichts anfangen kann. Und selbst meine Beteuerungen, dass es eine ganz großartige Sache ist, selbst über seine Zeit bestimmen zu können, drehen das Kopfkino nicht ab.
Die andere erzählt von beruflichen Problemen, davon, dass sie es mit Menschen zu tun hat, die sich als weniger cool entpuppen, als sie es ursprünglich gedacht hatte. Und dass sie sich mit Problemen befassen muss, in die sie noch nicht einmal involviert ist. Als sie die Augen rollt, weil sie das alles so nervt, gehe ich erst einmal eine Zigarette rauchen und denke darüber nach, wie sehr wir Frauen doch „Hier!“ schreien, wenn es um Befürchtungen und Ängste geht. Vielleicht ist das eine evolutionäre Geschichte, weil wir seit Urzeiten auf Beschützen und Kümmern gepolt sind. Und wenn da irgendetwas dazwischenkommt, wird geschuftet und getan und gegrübelt, bis das System eine Lösung ausspuckt. Was da an Zeit vergeht!
Nach der Raucherpause bin ich mit der Berichterstattung dran und erzähle von meinen Begegnungen seit dem letzten Treffen. Bei einer Geschichte geht dann die Post ab. Ich erzähle von einem Gespräch und werde mit der vollen Ladung an Interpretationen konfrontiert. Dass das, was mir erzählt wurde, eh nur einem Klischee entspräche. Wie ich so blöd sein könne, das zu glauben oder gar darauf hereinzufallen. Dass man nicht wisse, wie oft manche Menschen die gleichen Worte für verschiedene Ansprechpartner absetzen würden. Und während ich mir all das anhöre, denke ich mir, dass ich diese Interpretationen wirklich satthabe, weil ich dafür auch gar keine Zeit mehr aufwenden möchte, denn gesichertes Wissen kommt dabei ohnehin nicht heraus.
Ich kümmere mich lieber darum, was Worte oder Situationen mit mir machen und wie ich damit umgehe. Ich mache mir auch gar keinen Kopf mehr darüber, ob jemand die Wahrheit sagt oder lügt. Was an mich herangetragen wird, gilt. Ob ich es glaube, mich damit beschäftigen möchte oder einfach weiterziehe, ist meine Angelegenheit. Und da knüpfe ich dann an. Wenn mir jemand etwas erzählt, das mich aufwühlt, überlege ich nicht, wie dieser Mensch das gemeint haben könnte. Ich überlege mir, warum mich das aufwühlt, was die Aussage in mir lostritt und welche Schlüsse ich daraus ziehen könnte. Nur so kann ich wachsen – interpretieren wirft mich zurück.
Leicht ist es nicht, zugegeben. Doch schon allein die Bemühung, achtsam zu sein und voreilige Schlüsse zu verhindern, zeigt mir, wie häufig Frauen (und auch Männer, wie mir bestätigt wurde) interpretieren. Doch bringt uns das wirklich weiter? Nicht in meiner Welt. Wir verschwenden Zeit und Energie und machen dabei noch nicht einmal etwas besser – im Gegenteil. Voreilige Schlüsse können Beziehungen auf die Dauer zerstören, weil sie nämlich nur eines bewirken: dem anderen zu zeigen, dass man nur daran interessiert ist, ihn in eine Schublade zu packen, bevor man ihm Interesse zeigt. Insofern gibt es für mich vorrangig zwei Vorgehensweisen: das Gesagte zu nehmen, wie es kommt, oder so lange zu fragen, bis ich mein Gegenüber verstanden habe. Und glauben Sie mir: Selbst das Fragen dauert nicht so lange, wie die unendliche Phalanx an Interpretationen zu durchdenken, zu der die menschliche Fantasie fähig ist.

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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