Es gäbe diese Woche ja einiges, worüber ich berichten könnte. Allerdings versuche ich ja immer, hinter allem, was mir passiert, den tieferen Sinn herauszubuddeln. Es gibt ihn nicht bei allem, aber vielem.
Vor einiger Zeit habe ich aufgehört, gleich nach dem Aufstehen drei Seiten zu schreiben. Ich habe das gefühlt 100 Jahre lang immer wieder gemacht, vor allem zu einer Zeit, die für mich schwierig war und wo ich händeringend nach einer Lösung gesucht habe. Dabei hat mir das morgendliche Schreiben geholfen, weshalb ich immer dann, wenn ich vor einer innerlichen Wand stehe, schnell zu Stift und Schreibheft greife, um sie niederzureißen. Doch kürzlich ist mir aufgefallen, dass mich das morgendliche Schreiben nicht nur von Problemen befreien kann, sondern mir auch eines macht: nämlich jenes, mich an diese schwierige Zeit zu erinnern. Weshalb ich es gelassen habe und nur mehr wirklich punktuell einsetze, wenn sich besagte Wand vor mir aufbaut.
Und siehe da, kleine Wände kann ich schon ohne Schreiben bewältigen. Beispielsweise jene, die sich in Form von fast 20 Litern Traubensaft vor mir aufbaute, für den mir die Behältnisse und Gefriertüten ausgingen. Es ist jedes Jahr das gleiche: Ich freue mich ob der Riesenernte, doch die Verarbeitung stresst mich. Das Abperlen der einzelnen Beeren, das Waschen, das Entsaften. Heuer ging es etwas leichter, weil ich mir einen Tag dafür frei genommen und es als meditative Tätigkeit eingestuft hatte. Doch nach vier Stunden Abperl-Meditation tat mir das Genick weh, was in meiner Vorstellung von Meditation eigentlich nicht passieren sollte – eher das Gegenteil. Und es saß mir auch die Sorge im Genick, was ich denn mit dem vielen Saft machen sollte. Da schrieb mir eine Freundin und fragte, ob ich Zeit für eine Tasse Kaffee hätte. Auf die Information, dass ich mitten in der Traubenernte stecke und leider keine Zeit habe, meinte sie, ob ich Flaschen gebrauchen könnte, die sie ohnehin entsorgen wollte. Halleluja!
Eine weitere Wand errichtete sich, weil ich zwei Karten für eine Veranstaltung hatte, die ich mit einer anderen Freundin besuchen wollte. Leider musste die relativ kurzfristig beruflich verreisen, und ich versuchte, die eine Karte an eine passende und interessierte Person zu bringen. Anfangs war ich zuversichtlich, doch dieses Gefühl schwand schnell, weil genau an diesem Tag offenbar überall der Bär tanzte. Ich stellte das Angebot in eine Facebook-Gruppe, die normalerweise für alles und jeden eine Lösung hat – nichts. Und als mein Ex mir auch noch fünf Alternativen vorschlug, sprudelte es aus mir heraus: „Ich übergebe das jetzt dem Schöpfer, der soll sich darum kümmern.“ Ich hatte alles getan und kam nicht weiter. Und selbst das Schreiben hätte mir nichts geholfen. Also beschloss ich, zur Veranstaltung zu marschieren und zu versuchen, die eine Karte an eine Frau oder einen Mann zu bringen. Wer neben mir lacht, war mir sekundär. Die Schlange vor der Kasse war lang, als ich der Kartenverkäuferin signalisierte, dass es noch ein verfügbares Ticket gäbe, falls sie in ihrem Computer keines mehr finden würde. Dann stellte ich mich an die Seite und beobachtete die Menschenschlange. Aus einem plötzlichen Impuls heraus und weil mich die Frau so freundlich angelächelt hat, fragte ich sie und ihre Begleitung, ob sie zwei Karten brauchen könnten. Denn irgendwie war mir ohnehin nach einem heimeligen Abend. Und tatsächlich: Nach einigen Minuten Nachdenkzeit fanden meine Tickets neue Besitzer, und ich marschierte durch den Regen, dafür mit einem zufriedenen Lächeln nach Hause.
Einmal im Jahr versuche ich, mich mit einer lieben Bekannten zu treffen, für die ich arbeite. Die letzten Male hat es nicht geklappt, weil ihr Termine oder Vergesslichkeit dazwischen gekommen sind. Und doch probiere ich es immer wieder, weil ich sie einfach mag. So auch diese Woche mit ganz viel Hoffnung, dass wir es schaffen würden. Als ich sie erinnerte, kam zurück: „Wir haben etwas ausgemacht??????“ Ich musste lächeln, denn irgendwie hatte ich es schon gespürt. Und schrieb einem uralten Freund, mit dem ich ebenfalls seit langem versuche, einen Termin zu finden. Wir haben seit 25 Jahren nicht mehr geplaudert, und das wollten wir beide ändern. Doch unsere Kalender waren einfach nicht kompatibel. Ich schrieb ihn also an und fragte, ob er Zeit hätte. Und er hatte!
Es gibt dieses wunderbare Lied von Lee Ann Womack: „I hope you dance“. Eine Zeile daraus lautet: „Whenever one door closes I hope one more opens“ – genau diese Erfahrung durfte ich in dieser Woche machen. Ich habe selbst danach gesucht, und genau in diesen Momenten, wo ich die Wand abtastete, hörte ich das Klicken der Tapetentüre. Dass Dankbarkeit zu Glück führt, kann ich nur einmal mehr unterstreichen.