Es ist einfach, die Veränderung zu preisen, wenn man nichts zu verlieren hat. Doch wenn etwas dran hängt an einer Entscheidung, fällt sie oft schwer. Sollte sie nicht.
Das Gute an meinen Morgenritualen ist, dass sie mich nach dem Aufstehen mindestens 90 Minuten von meinem Smartphone fernhalten. Denn für die meisten Menschen ist der Griff zum Telefon schneller als der Fuß aus dem Bett. Ich könnte auch, und am Wochenende ist das auch der Fall, allerdings aus sehr persönlichen Gründen. Unter der Woche ist der Input von allen Seiten so groß, dass ich zuerst einmal entleeren muss, bevor ich Platz für Neues schaffe.
Heute morgen fiel mir nach meinen Ritualen ein Posting eines „alten“ Freundes meiner Tochter ins Auge, der in einem Sechs-Minuten-Video darüber sprach, was der Schritt vom zweiten ins dritte Lebensjahrzehnt für ihn bedeutet. Er hat viel geschafft in diesen zehn Jahren, weil er sich begeistert für die LGBTQ-Community einsetzt, selbst eine offene Individualität feiert und damit zu einer Art Star in den sozialen Netzwerken und anderen Medien geworden ist. Und doch zweifelte er in diesem Video, ob es jemals genug ist, ob man irgendwann einmal tatsächlich an dem EINEN Gipfel ankommt, der irgendeine Art von Ziel und damit Ankommen signalisieren könnte. Wie man sich vorstellen kann, ist der Kampf für LGBTQ kein Strandspaziergang, weil es immer irgendwelche Vollpfosten gibt, die denselben vor ihren Augen als Grenze ihrer Welt betrachten und alles andere heruntermachen, verarschen oder beschimpfen möchten. Und dem Freund meiner Tochter haben die Vollpfosten wirklich alles gewünscht, was man nicht einmal seinem ärgsten Feind wünschen möchte.
Ich kann mir vorstellen, dass er zweifelt. Dass er sich fragt, ob wir jemals in einer Gesellschaft leben werden, die einander als Menschen anerkennt – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn das sind wir am Ende des Tages und darin sind wir verbunden. Auch ich sehe keinerlei Mehrwert darin, sich auf das Trennende zu fokussieren, während es doch so vieles gibt, was wir gemeinsam haben. Und sei es auch nur die Freude, das Lachen, Gespräche.
Als ich 30 wurde, fühlte ich mich ähnlich müde. Ich verbarrikadierte mich mit einer Freundin in einem Hotel in Altaussee, weil ich das als den einzig passenden Platz für mich ansah. Äußerlich war alles bestens, ich auf der Höhe meiner Kraft und doch mit einer gewissen Leere in mir, deren Ursprung ich nicht ausmachen konnte. Im Grunde war dieser Geburtstag der einzige in meinem Leben, den ich nicht wirklich mit Vorfreude auf das Kommende begangen habe. Mein Ältester sagte immer, dass man erst mit 30 erwachsen ist – inzwischen weiß er, was das bedeutet. Vielleicht ist es das, was einer und einem plötzlich bewusst wird: Jetzt ist das Spiel zu Ende, jetzt gehört die Verantwortung für mein Leben endgültig mir alleine.
Was ich seitdem lernen durfte, ist: Ja, diese Verantwortung kann sich schwer anfühlen, vor allem, wenn man wie der Freund meiner Tochter eine wirkliche und wichtige Mission hat. Und wenn man merkt, dass aus jedem Tümpel, den man in einen Seerosenteich verwandelt hat, wieder ein Monster kriecht, mit dem man es aufnehmen muss. Ich habe allerdings auch gelernt, dass sich mein Verantwortungsgefühl auch verändern darf. Und zwar in die Richtung, dass man erkennt: ICH bin meine oberste Verantwortung. Und alles, was sich schwer anfühlt, gehört vielleicht nicht mehr zu mir. Denn der Spruch „Arbeit muss weh tun“ hat schon lange ausgedient. Vielmehr hat es sich bewährt, dem zu folgen, was uns ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Dann sind wir in unserer Kraft, dann können Pläne gelingen.
Natürlich ist diese Transformation keine leichte, denn wir müssen auch ein Image aufgeben, das wir geschaffen haben. Und das kann gerade für jemanden, der im Rampenlicht steht, eine Challenge sein. Doch aus eigener Erfahrung weiß ich: Es geht. Über Jahre habe ich das Single-Leben propagiert und zelebriert, weil ich Bewusstsein dafür schaffen wollte, dass frau nicht in einer Beziehung bleiben muss, wenn sie ihr schadet. Und obwohl ich davon noch immer beseelt bin, hat mich das Schicksal mit einem Mann beschenkt, bei dem alles stimmt. Ob das meinem Single-Image geschadet hat oder nicht – ich weiß es nicht. Und im Grunde hatte ich auch keine Möglichkeit, darüber nachzudenken. Wenn Dinge wie die Liebe passieren, folgt frau, was sie zum Lächeln bringt. Das sollte der Kompass für alles im Leben sein, egal in welchem Alter und egal, was man glaubt, damit zu verlieren. Man verliert nämlich nie etwas, sondern gewinnt immer etwas Neues, Besseres. Und das sicher wie das 12-Uhr-Läuten.
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