Kennen Sie dieses Emoji, bei dem die Schädeldecke gesprengt wird? Das bin ich aktuell. Schade, dass es das nicht in meiner Haarfarbe gibt.
Heute ist einer dieser Tage, an dem mein Hirn gerade wieder einmal nicht weiß, worauf es sich festlegen soll. Einerseits ist das positiv, weil mir die Situation zeigt, dass es nichts gibt, worüber ich länger nachdenken muss. Doch – und das ist symptomatisch – gleichzeitig erscheinen mir bestimmte Themen sehr wohl den einen oder anderen zusätzlichen Gedanken wert zu sein. Allerdings komme ich da nicht wirklich weiter, was das Schwungrad in Gang setzt und mich – weil ich ja feststecke – zum nächsten Thema wirft. Glücklicherweise gibt es derzeit die schönste Nebensache der Welt, die mich aus dem Denken herausbringt. Das hilft allerdings auch nur maximal 20 Minuten. Früher konnte ich neben einem Wettbewerbsmatch meiner Lieblingsmannschaft vielleicht gerade noch sprechen, je nach Fehlpass oder verschossenem Elfmeter. Heute werde ich nach 20 Minuten hippelig, weil ich das Gefühl habe, meine Zeit zu verschwenden.
Und womit kämpft man dagegen an? Mit interessanten Informationen. Was mich dann wieder dorthin bringt, dass ich über Gelesenes oder Gehörtes nachdenke, aber auch das nur bis zu einem gewissen Punkt. Fast scheint mir, als hätte ich eine Gehirnverstopfung, die eine Verstoffwechselung der Information nicht zulässt. Heute morgen habe ich einen Podcast über Ennio Morricone gehört, der vor einem Jahr gestorben ist. Und er soll gesagt haben, dass heutzutage Musik konsumiert wird. Ich dachte natürlich zuerst an die Beschallung in Einkaufszentren oder im Lift. Doch dann musste ich einsehen, dass auch ich meine geliebte Musik viel zu oft konsumiere. Es fällt mir vor allem dann auf, wenn mein Ex aus seiner Stille heraus zu Besuch kommt und immer wieder auf meinem Handy herumdrückt, um den Tagessoundtrack abzuschalten. Oder eben wenn ich mit der Nase darauf gestoßen werde wie heute morgen. Und feststellen muss: Es ist einfach zu viel. Zuviel „Smile“, zuviel „The Wave“, zuviel „Sunshine Radio“. Seit ich entdeckt habe, dass ich Radiosender aus aller Welt in meine Welt holen kann, bin ich echt maßlos geworden. Und bislang war mir das gar nicht bewusst, weil ich so begeistert davon war, neue Musik kennenzulernen und sie auf meinen Spazierblackberry zu laden. Doch Ennio hat das heute geändert.
Seit zehn Stunden höre ich nun schon keine Musik, sondern das Klicken des Gehstock meiner Nachbarin auf ihren Gartenplatten, das Krakeelen der Elstern in der Trauerweide, das Miauen der Katze, wenn sie unter dem Einfahrtstor durchschlüpft. Vor dem Supermarkt gegenüber unterhalten sich zwei Männer, vermutlich leicht angetrunken, und der Verkehr nimmt in Richtung Einkaufszentrum ab. Der Wind fährt durch die Birke und die Windspiele im Garten. Ein Handy bimmelt, irgendwo. Meine Ohren sind also hinlänglich ausgelastet, auch ohne internationalen Soundteppich.
Vor vielen Jahren habe ich Julia Camerons „Der Weg des Künstlers“ durchgeackert, und eine der schlimmsten Aufgaben war, eine Woche nichts zu lesen. Das Internet war bei weitem noch nicht so „ausgebaut“ wie heute, doch kein Buch, keine Zeitung, kein Magazin mehr aufsaugen zu dürfen, hat mich damals schwer getroffen. Doch ich habe es gemacht und es überlebt. Gerade derzeit habe ich den Eindruck, dass mir das wieder einmal gut täte. Weil mich vieles, was mich interessiert, eh nur noch mehr verwirrt. Und ich mich dann frage, warum mich das dann interessiert. Doch bevor ich zu einer finalen Antwort komme, schwebt eine andere Information an mir vorbei, ich strecke meine Hand aus und schwuppdiwupp, ist sie hängen geblieben und reiht sich auf dem Stab der bereits früher an mir vorbeigeflogenen und geretteten Informationen ein. Vielleicht bin ich ja nicht nur bibliophil, sondern auch brainophil? Vielleicht liebe ich es, Gedanken zu sammeln, ohne sie auch nur ansatzweise zu Ende denken zu wollen?
So geht das nicht weiter. Schließlich habe ich wichtige Entscheidungen zu treffen, die keine Ablenkungen gebrauchen können. Insofern ist es gut, dass die Fußball-EM in die finale Woche geht. Insofern ist es gut, dass ich eine relativ ruhige Woche mit wenig Input von außen erlebe – zumindest bis zum Wochenende. Insofern ist es gut, dass sich das Bewusstsein für Umgebungsgedudel heute morgen Bahn gebrochen hat. Wenn zu viel in meinem Leben ist – und das war in den vergangenen zwei Wochen definitiv der Fall -, verliere ich leicht meinen Fokus, also den Fokus auf meine Belange. Da geht es um andere, ihr Wohlbefinden und Wohlergehen, um das Dazwischen-Hineinflicken des gewohnten Alltags, aber auch nicht mehr. Jetzt könnte die aufkeimende Normalität helfen, wieder in die Spur zu kommen. Die mit den fünf Interessensgebieten, die mit der Kongruenz zwischen Haltung und Aktion, die mit MBSR und Meditation. Und nach diesem Reset bin ich dann wieder offen für Unvorhergesehenes, Spontanes. Das ist eben meine Version von „Back to the Roots“: verankern und auf das nächste Gewitter warten. Es kommt bestimmt. Und ich liebe Gewitter!