Für sich selbst einstehen, ist in meiner Welt eine ganz normale Angelegenheit. Doch dass man lieber seine Identität ändert anstatt das zu tun, hat mich in dieser Woche schwer beschäftigt.
Es war einer dieser wunderbaren Herbstnachmittage, an dem uns die Sonne an den Sommer und die Atmosphäre der Stadt an Italien erinnert. Ich hatte mich mit einer Freundin getroffen, eigentlich zu einer Outdoor-Veranstaltung. Da diese weniger prickelnd und das Mitteilungsbedürfnis größer als erwartet war, absentierten wir uns ab einem bestimmten Zeitpunkt und setzten uns in den Gastgarten eines Kaffeehauses. Während meine Kinder ja schon dabei sind, das Twen-Stadium zu verlassen, hängt meine Freundin noch in der Pubertät ihres Nachwuchses fest, mit allem, was heutzutage dazu gehört. Und das umfasst offenbar auch Freunde, die wie Burschen ausschauen, aber Mädchen sind und umgekehrt. Jetzt bin ich ja jemand, die dem Geschlecht grundsätzlich kaum Bedeutung zumisst, weil es für eine Begegnung nur minimal wichtig ist. Wenn ein Wesen mit Brüsten als „der Hans“ angesprochen werden möchte, bin ich zwar kurzfristig verwirrt, kann mich aber rasch einfinden. Man muss mir eben nur sagen, wie Mann/Frau/Divers es gerne hätte.
Meine Freundin und ich sind über 50, sind also in einer Zeit aufgewachsen, wo Diversität noch der Bürgerrechtsbewegung in den USA vorbehalten war und von der Affirmative Action, also der positiven Diskriminierung, in den ländlichen Gegenden unserer Pubertät nichts zu spüren war. Wir versuchten, uns in die Lage der heutigen Jugend zu versetzen und hinterfragten, ob wir mit dem heutigen Wissen vielleicht auch selbst entscheiden hätten wollen, ob wir trotz eindeutiger Sexualmerkmale lieber als Berti oder Klausi anzusprechen wären. Ich für meinen Teil hatte darauf eine eindeutige Antwort, meine Freundin weniger. Sie meinte, sie könnte verstehen, dass Mädchen es weniger attraktiv finden, für sich einzustehen als einfach das Geschlecht zu wechseln. Die Rede ist hier nicht vom tatsächlichen Akt einer Geschlechtsumwandlung (falls das heute noch so genannt wird), sondern davon, wie man in der öffentlichen Wahrnehmung eingeordnet wird.
Natürlich habe ich damals auch nicht meine Rundungen zu Markt getragen, weil ich mir ihrer gar nicht bewusst war. Ich wollte enge Jeans und weite Pullis, wahlweise von meinem Vater oder Großvater, tragen, mit weißen Turnschuhe durch die Gänge des Gymnasiums schlurfen und meine Haare wie Limahl tragen – allerdings ohne Zweifarbigkeit, weil meine Mutter das ablehnte. Doch das ist eine andere Geschichte. Ich kann mich nicht erinnern, je mein Geschlecht in Frage gestellt zu haben, weil mir das Frauenbild vor meinen Augen unangenehm oder unangebracht erschien. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass mir mein Vater stets vermittelt hat, dass ich alles erreichen kann, was ich will. Vielleicht waren es aber auch meine Mutter und meine Großmutter, die ihre Rollen gestalteten, wie es ihnen eben möglich war. Und mir durchaus selbstwirksam erschienen.
Wenn die Lockdown-Zeit den Mädchen ein Bild vermittelt hat, das Frauen zuhause ohne großes Zutun in Abläufe zurück katapultiert hat, wie wir sie in den 1950er Jahren hatten, läge es für mich nahe, es ALS FRAU anders zu machen. Und nicht mich gleich vom ganzen Geschlecht zu verabschieden, weil eh alles schlecht behandelt wird, was Kinder auf die Welt bringen kann. Wie meine Mutter meine gefärbten Haare abgelehnt hat, lehne ich es ab, mich als Opfer zu kategorisieren. Weder eines Mannes und schon gar nicht der Umstände. Ich bin als Frau stets die Kapitänin meines Schiffes, weil es an mir liegt, wie ich meine Umstände beurteile und einsortiere. Und für mich gibt es immer Luft nach oben.
Ich erinnere mich an eine Situation, wo ich die Nachfolge eines Mannes angetreten habe und mir völlig ungeniert weniger Gehalt angeboten wurde. Ich hätte die Stelle ablehnen können (was ich nicht wollte), doch ich hatte einen anderen Plan im Sinn. Nämlich den, meinem Arbeitgeber eine Sekretärin abzuringen, die sich um all den Kleinscheiss kümmerte, der meine Abläufe aufgehalten hatte. Gesagt, akzeptiert. In keiner Sekunde habe ich mich diskriminiert gefühlt, sondern stets in meiner Kraft. Und genau das würde ich immer wieder tun. Und auch jedem Mädchen raten, das sich persönlich diskriminiert fühlt. Denn es gibt stets einen Weg, zu sich selbst „Ja“ zu sagen, und es gibt immer Menschen, die eine dabei unterstützen. Gerade wir Frauen sind eine unglaubliche Kraft, die wir viel zu lange vernachlässigt haben, weil man uns lieber in der Stutenbissigkeit gesehen hat. Das muss aufhören, da muss Solidarität an Boden gewinnen. Und sie tut es bereits, was ein ganz unglaubliches Gefühl ist. Zu spüren, wie sich Weiblichkeit ausbreitet, Communities entstehen und durch den Austausch die Verbundenheit stärken, wünsche ich jeder jungen Frau. Wir sind mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung, machen wir etwas draus – im Idealfall etwas Konstruktives, Selbstwirksames, Kreatives!
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