FREITAG: Freiheit üben

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Ich habe einen Freund, der lange Jahre mit den südafrikanischen Buschmännern gelebt hat. Und er ist kein Mann der vielen Worte, auch wenn er über seine Erlebnisse und Erkenntnisse ein Buch geschrieben hat. Er beweist, wie wenige Worte es braucht, um auf den Punkt zu kommen.

„Stay safe, stay free“ hat der Freund geschrieben, und das könnte manch einer in der heutigen Zeit als Provokation empfinden. Zu sehr nagt die von oben verordnete Vereinzelung an vielen Menschen, die schwer einen Sinn in ihrer aktuellen Lebenssituation entdecken können. Und die gerne die Tage zählen würden, gäbe man ihnen etwas zu zählen.

Gut, es ist Licht am Horizont, das unter anderem die Gewerbetreibenden, Gärtner und Friseure freut. Ich bin auch glücklich darüber, wieder die Möglichkeit zu haben – was nicht bedeutet, dass ich sie auch nutzen werden. Der Andrang in den Gartenzentren wird immens sein, auch wenn die Eismänner noch schlafen. Die Geschäfte werden sich füllen, auch wenn man vielleicht in der Zwischenzeit gelernt hat, was man mehr und was weniger braucht. Doch Shoppen ist für so viele Menschen zu einem Hobby geworden, dass viele alleine deshalb die Shops stürmen werden. Für meinen Friseur freue ich mich auch, denn sein kleiner Familienbetrieb kann nun endlich wieder etwas zur Verschönerung unserer Welt beitragen – zu meiner hoffentlich auch, denn acht Monate ohne ihn sind selbst mir zu lange.

Anfang der Woche bin ich erstmals mit einer Maske einkaufen gegangen. Und nein, es war keine angenehme Angelegenheit. Schon alleine deshalb werde ich mir sehr genau überlegen, ob Shopping unbedingt nötig sein wird. Diese Maske ist heiß, man versteht die Menschen schlecht, und Brillenträger wie ich kämpfen mit angelaufenen Gläsern. Wie soll man sich da frei fühlen, wie es mein Freund anregt? Ich verstehe ihn auf der Seelen-Ebene.

Auch wenn ich die geliebte Innenstadt seit Wochen nicht mehr gesehen, meine Freunde nicht umarmt und meine Eltern nur mittels Webcam spreche, ist mir eines klar geworden: Es ist eine Entscheidung, ob man sich auf den Mangel oder die Fülle konzentriert. Überwiegt ersteres, kann der Weg nur in die innere Gefangenheit gehen. Da bleiben Chancen liegen, da greift der Trübsinn um sich und schwächt das Immunsystem. Natürlich kenne ich Phasen wie diese, doch eine Freundin hat mich kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass meine Vorgangsweise in diesen Phasen vielleicht nicht mainstreamig sein könnten. Mir geht mein Aufenthalt im Tal der Tränen nämlich irgendwann einmal auf die Nerven. Und wenn sich von außen keine Lösung anbietet, so gehe ich in mein Inneres und suche dort nach einem Weg. Und den habe ich bislang immer gefunden. Meine Macheten-Sammlung für untröstliche Situationen ist entsprechend groß, und vielleicht verstehe ich diesen Freund eben genau auf dieser Ebene.

Die Freiheit liegt in der Wahl. FÜR und VON etwas. Und genau das kann man momentan sehr gut üben. Wenn man wollte. Weil vieles sonst nicht möglich ist. Vor allem Ablenkung. Wann, wenn nicht jetzt kann man Verhaltensweisen, Bedürfnissen und Abneigungen besser auf den Grund gehen? Ich verstehe, dass das Angst macht, weil man nicht weiß, was man dort entdecken könnte. Doch aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es wird alles leichter und einfacher.

Immer wieder werde ich gefragt, wieso ich diese Zeit leicht nehme, mich nicht beklage oder leide. Weil ich die Hintergründe meiner Verhaltensweisen, Bedürfnisse und Abneigungen sehr genau und schmerzvoll erforscht habe. Und selbst wenn ich mich in diesem Prozess oft gefragt habe, wofür das alles gut sein soll, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich es wusste. Nämlich genau jetzt. Ein Beispiel: Vor einem Jahr bin ich aus Kapstadt zurück gekommen und hatte das Gefühl, dass ich zuhause bleiben möchte. Hat zwar praktisch nur mangelhaft funktioniert, aber es geht um die Einstellung. Ich war bereit, das Reisen auszusetzen und es war für mich in Ordnung. Vor vier Jahren hatte ich mich entschlossen, keinen Sex mehr zu haben. Und auch das war in Ordnung für mich, obwohl es anders kam. Was ich sagen möchte: Hat man mit einem Thema seinen Frieden gemacht, stärkt das. Auch wenn es Ausreißer gibt. Jetzt befinde ich mich in der Situation, dass ich absolut nicht weiß, wann ich da nächste Mal einen Flieger besteigen werden. Und hätte ich letztes Jahr nicht diese Erkenntnis gehabt, würde ich jetzt am Rad drehen. Tue ich nicht, weil ich in Frieden bin. Mit dem anderen Thema auch und dem Rest sowieso.

Diesen Frieden wünsche ich auch allen von Herzen, doch manche sind dafür einfach noch nicht bereit. Womit das zusammenhängt, ist individuell verschieden. Und auch wenn ich weiß, dass mein Wünschen gerade gar nicht hilft, bleibt doch die Hoffnung aufrecht, dass es irgendwann einmal Erfolg haben wird. Bleiben Sie gesund – nicht nur körperlich, sondern auch geistig und seelisch!

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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