FREITAG: Genießen, was ist

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Ziemlich entspannt vom Bosporus zurückgekehrt, geht mir doch einiges durch den Kopf – vielleicht weil ich keine Zeile geschrieben habe? Offenbar verstopft mein Gehirn, wenn es kein Ventil hat.

Zeit mit meinem Vater zu verbringen, der gemeinsam mit mir den Orient lieben gelernt hat, war eine sehr wertvolle Erfahrung. Seine Perspektiven haben sich seit unserer letzten Reise verschoben, seine Kräfte sind etwas geschwunden, doch die Neugierde und die Genussfähigkeit für Neues geblieben. Vieles wird nicht mehr kommuniziert, sondern gleich internalisiert, denn der Bilderspeicher muss wieder für eine Zeit lang, zumindest bis zur nächsten Reise aufgefüllt werden.
Für mich war es auch (wieder) eine neue Erfahrung, mit einem Menschen gemeinsam zu reisen. Sie wissen ja, dass ich normalerweise am liebsten allein durch die Welt streune, in meiner Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit, die manchmal vielleicht etwas ziellos erscheint – der Eindruck täuscht allerdings, denn mein Ziel ist es ebenso wie bei meinem Vater, unvergessliche Erinnerungen zu sammeln. Und die können in der Blauen Moschee ebenso lauern wie in einem Schalgeschäft des Großen Bazars.
Eine neue Erfahrung war es auf jeden Fall, dass ich definitiv nicht dafür gemacht bin, vor 22 Uhr ins Bett zu gehen. Das musste ich in den letzten Tagen schon wegen der Zeitverschiebung, dem nicht vorhandenen Balkon und Terminen, die früh gelegt wurden, feststellen. Das hatte zur Folge, dass ich mich hin und her gewälzt habe und das Gefühl hatte, kein magisches Auge zugemacht zu haben. Am ersten Abend hatte ich noch optimistisch drei Gläser Tee getrunken – die sind vor dem zweiten Schlafengehen zwei Bieren gewichen. Hat aber auch nix geholfen.
Irgendwann kam ich dann auf den Trichter, dass mir mein abendliches Schreibritual fehlte, speziell auf Reisen. Da halte ich normalerweise fest, was mir tagsüber durch den Kopf gegangen ist. Doch dafür war keine Zeit, und ich wollte mir auch nur wirklich notwendige Zeit vom Zusammensein mit meinem Vater abzwicken lassen. Und irgendwann im Flieger dann platzte mir fast der Schädel, weil ich wohl zu viel in denselben hineingesteckt hatte, ohne für einen Abfluss zu sorgen.
Dass meine schottische Freundin ein ähnliches Gefühl hatte und ihr Ventil öffnete, bevor ich meinen Hahn fand, hat das Gefühl der Völle vermutlich unterstützt. Und so saß ich auf meinem Sandwich-Sitz im Flieger und versuchte, in meinen Blackberry hineinzuschreiben, was hinauswollte. Und es war nichts Freundliches, sondern Gedanken darüber, warum ich schwer meinen Ärger artikulieren kann. Diesem Thema waren nämlich die letzten Worte meiner Freundin gewidmet gewesen, bevor mein Flieger abhob. Unser Automatismus ist immer der gleiche. Wir ärgern uns ganz fürchterlich über etwas, und dann überlegen wir so lange, wie wir das diplomatisch ausdrücken können, dass wir darüber nicht nur unendlich viel Energie verlieren, sondern unsere Botschaften derart glatt geschliffen sind, dass das Gegenüber nur mehr wenig bis gar nichts vom Ärger mitbekommt. Und wir wundern uns dann, dass die Reaktionen scheinbar ungenügend sind.
Die Krux daran ist, dass wir nicht noch mehr Ärger in diese Welt bringen, dass wir auf Unfreundlichkeiten oder Unachtsamkeiten nicht auf dem gleichen Level reagieren und Bewusstsein dafür wecken wollen, dass es jeder Mensch in der Hand hat, die beste Version seiner selbst zu werden. Wir sind vor unterschiedlichen religiösen Hintergründen sozialisiert worden, und trotzdem halten wir gar nichts von der Aug-um-Aug-Philosophie. Das Zauberwort ist Impulskontrolle. Doch während wir versuchen, den Ärger zu transformieren, verpufft schon vieles davon. Dann wird rationalisiert, das Ergebnis durch die Weltverbesserungsmaschine gedreht und heraus kommt im allerbesten Fall etwas Sarkastisches. Und wir wissen ja, dass Sarkasmus eine Gabe ist, die nicht jeder schätzt. Wenn dann ein Okay zurückkommt, schauen wir ungläubig auf unsere Displays und denken an die berühmten Perlen, die sich offenbar nicht jedermann anstecken möchte. Und weil wir zu diesem Zeitpunkt schon total erschöpft von der intellektuellen Leistung des Ärgerwandels sind, bringt uns dann dieses Okay endgültig aus der Fassung.
Während ich also im Flieger saß und wahrscheinlich irgendwo über Sofia an der Artikulation meines Ärgers bastelte, stellte ich plötzlich fest, dass ich keine Lust mehr hatte. Keine Lust mehr auf Ärger, auf Diplomatie, en général auf Menschen, die solche Gefühle oder Bestrebungen in mir auslösen. Mögen sie auf ihrer Entwicklungsstufe bleiben, solange sie es dort kuschelig finden. Mögen sie andere Lehrmeister finden, die ihnen einen Spiegel vorhalten. Mögen sie in ihrer eigenen Geschwindigkeit zu ihrem besten Selbst gelangen. Und als ich meinen Blackberry wieder in meinem Rucksack unter dem Sitz verstaute, sah ich, wie mein Vater mit einem Becher Rotwein in den Sonnenuntergang lächelte. Genau darum geht es: das zu sehen und zu genießen, was ist. Er war immer schon ein großartiger Lehrmeister.

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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