FREITAG: Übergangszeiten und Chancen

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Ja, ich gebe es zu – ich wollte auch zum Friseur. Jetzt gibt es sicher wichtigere Dinge als das, doch es zeigt eines: wie wichtig vielen doch ein Stück „alter“ Normalität ist.

Ich vermisse ein Posting auf Facebook: „Habt ihr schon bemerkt, dass die Vögel jetzt wieder leiser zwitschern?“ No, na, der Verkehr hat ja auch wieder zugenommen, und den einen oder anderen Kondensstreifen am Himmel habe ich auch schon wieder gesehen – wo immer dieser Vogel abgehoben sein mag. Gegen die Flugzeuge habe ich normalerweise überhaupt nichts, denn sie erinnern mich meist an eine bevorstehende Reise. Und auch wenn bei mir nur diffus eine im Raum steht, freue ich mich doch für die wenigen, die über den Wolken schweben können.

Seit letztem Samstag rollt er wieder, der Verkehr, und auch ich habe mein Auto seit dem 3. März wieder einmal aufgetankt. Unter einem Euro hat der Liter gekostet, fast ein Schnäppchen und doch irgendwie Luxus, denn wirklich weite Strecken werde ich künftig nicht zu bewältigen haben. Ausnahme vielleicht ein Besuch bei meinen Eltern – da muss ich ja mit der Kirche ums Kreuz, weil die kurze Strecke über fremdem Staatsgebiet verläuft. Aber bis es so weit ist, passiert etwas, was schon lange nicht mehr vorgekommen ist: Meine Mutter feiert den Muttertag mit ihrer Tochter. Sie braucht nämlich dringend einen Tapetenwechsel, was für mich persönlich kein Wunder ist bei all den Bergen rund herum. Die Attraktivität von Alpenglühen als Dauerstandbild ist eben endenwollend. Ich hoffe auf schönes Wetter, damit wir wenigstens an die frische Luft kommen und sie nicht auf die Idee kommt, meine Fenster zu putzen.

Obwohl: Ich habe das ja jetzt endlich geschafft – eine der vielen Errungenschaften der C-Zeit. Mein Garten ist auch tipptopp, viele Räume wurden entrümpelt, und der Herd war im Dauereinsatz. Ich habe viel gelernt, mich ausgiebig bewegt und soziale Kontakte gepflegt. Arbeit war auch da, doch fast ist mir die Zeit mit mir alleine zu kurz gekommen. Als ich heute mit Maske vor meinem vollvisierten Friseur sitze und ihm das erzähle, meinte er nur: „Du wirst jetzt wohl nicht zur Einsiedlerin!“ Ich überlege noch. Und je länger ich überlege, umso mehr gefällt mir dieser Gedanke. Doch irgendwann wird das Lerncafé wieder öffnen und werden die Bauchtanzstunden beginnen. Sind schon zwei Fixpunkte, die mich unter Leute bringen. Und wenn ich meine Eremitage aufrechterhalten will, brauche ich ein ausgeklügeltes Zeitmanagement. Irgendwie ist dieses Thema ein Evergreen in meinem Leben, merke ich gerade.

Doch vielleicht ist es weniger eine Zeitmanagement-Geschichte, sondern eher eine der Willenskraft. Eine, die behalten will, was ihr durch die C-Zeit in den Schoß gefallen ist, auch wenn es dafür vielleicht im Außen keinen Grund mehr gibt. Und vielleicht braucht es auch Mut, genau das durchzusetzen. Doch das bringt mich wieder zum Zeitmanagement, aber von einer anderen Seite. Denn es war ja gerade das mangelnde Zeitmanagement, das ich so genossen habe – weil ich es gar nicht gebraucht habe. Mit der Lockerung der Maßnahmen muss es wohl wieder eingeführt werden, denn gerade bei den oben erwähnten Aktivitäten kommt man mit Spontaneität nicht weiter. Und was mein Freundeskreis dazu sagt, ist auch schwer vorauszusehen. Ob ich es einmal versuchen soll?

Früher dachte ich immer, dass ich die Interaktion mit Menschen brauche, den Austausch oder einfach nur eine Runde Witzeln. Doch die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass das alles auch virtuell gehen kann. Sogar meine Schreibseminare kann ich virtuell abhalten. Und der Rest meiner Arbeit passiert ja auch großteils über das Internet und das Telefon. Dass wir jetzt alle fast schon selbstverständlich via Webcam telefonieren, hat mir heute die Augen geöffnet. Insofern: Jetzt sind wirklich alle darauf vorbereitet, über Bildschirmtelefonie Gespräche zu führen. Und das bedeutet für mich, dass ich tatsächlich von jedem Punkt der Welt aus arbeiten kann. Früher dachte ich mir immer, dass das nicht gut käme, wenn man während eines Interviews in meinem Hintergrund das Meer rauschen hört, doch inzwischen? Alles, was ich tatsächlich für ein Arbeitsleben wie dieses bräuchte, ist eine stabile Internetanbindung und einen Laptop. Leichter kann das Gepäck kaum sein.

Ich erinnere mich an eine Reise nach Indien vor bald zwanzig Jahren. Dort habe ich zum ersten Mal Internetcafés gesehen. Nicht solche, wie wir sie hier kennen, sondern viel simpler. Vier Wände, ein Dach und darunter Computer. Damals dachte ich mir schon, dass das mein Traum wäre: jeden Tag Mangosaft zum Frühstück, zwischen zwei Interviews in die Brandung hüpfen und abends vom Rauschen der Wellen von Geschichte zu Geschichte springen. Jetzt bin ich wohl endlich von dieser laaaaaaangen Leitung heruntergestiegen. Mein Ältester überlegt sich auch, irgendwann einmal von einem Co-Working-Place in Bali seine Arbeit zu verrichten, warum also nicht auch ich?

Was mich tatsächlich hält, sind zwei Gründe: meine Eltern und mein Haus. Beide werden nicht jünger oder pflegeleichter. Auch in der Immobilität ähneln sie sich. Vor allem Erstere kann ich mir jetzt nur unter Einwirkung höherer Gewalt in einem Flieger nach Kapstadt vorstellen. Schon eine Reise nach Salzburg braucht längere logistische Vorbereitungen. Wie es tatsächlich welche benötigte, müsste ich einen ganzen Kontinent überqueren, falls einem der beiden etwas passieren würde. It‘s complicated!

Übergangszeiten sind irgendwie anstrengend, aber auch aufregend. Manches funktioniert nicht mehr, manches noch nicht. Doch das zu finden, was klappt, ist ein großartiges Gefühl. Und es klappt einiges: Verbundenheit, Arbeit, Lernen, Ideen. Als ich Anfang des Jahres in Kapstadt war, wurde mir erzählt, dass in Südafrika vor allem kleine Unternehmer mit kreativen Ideen vom Staat gefördert werden, weil der Arbeitsmarkt am Boden läge. Was ich damals schon erstaunlich fand, ist jetzt für mich genau das: eine funktionierende Nische zu finden zwischen all dem, was nicht klappt. Die einen nennen es Überlebenswille, ich nenne es Lebenskunst. Und die kann man immer und überall üben. Bleiben Sie gesund – die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich nach heutigem Stand mit C anstecken, liegt bei eins zu 600!

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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