FREITAG: Unter die Leute, Flaneusen!

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Aktuell ist in meiner Stadt wieder einiges los, und wenn man so durch die Straßen und Gassen spaziert, begegnet einem schon mal das eine oder andere Gesicht, das man normalerweise aus den Gazetten beim Hausarzt sieht. Doch das wahre Ereignis ist das Spazieren, wie ich kürzlich lernen durfte.

Die Sonntage gehören ja normalerweise mir alleine, und diese Zeit nutze ich zum Hören verschiedenster Podcasts und Audiobücher. Vor einigen Tagen kam mir einer unter über ein Buch, das sich mit dem Flanieren beschäftigt, und zwar jenem von Frauen und Queer people. Wikipedia erklärt letzteres mit Menschen, die von einer heteronormativen Regel abweichen. In heutigen Stellenanzeigen würde man sie wahrscheinlich unter „divers“ einreihen. Verschiedene AutorInnen haben zum Thema Flanieren Geschichten geschrieben, und weil ich das selbst gerne tue, wollte ich reinhören.

Die Herausgeberin erzählte, dass viele Frauen über das Gefühl des Beobachtetwerdens berichten. Und sie diese objekthafte Sicht nicht unbedingt als angenehm empfinden. Im Gegensatz dazu könne der weiße, männliche Flaneur unbeobachtet durch die Stadt spazieren und keiner nehme Notiz von ihm. Und sollte er doch einmal Aufmerksamkeit erregen, stört ihn das nicht. Frauen wollen anonym flanieren, fasst die Herausgeberin die Geschichten zusammen.

Nicht dass ich mir jemals Gedanken darüber gemacht hätte, ob ich eine Flaneuse bin, wenn ich durch die Stadt streife, entweder auf dem Weg zu meinem persönlichen Künstlertreff, der Suche nach einer Viererpackung Venusbrüstchen oder einfach zum Genuss. Doch was mir durch diese Auseinandersetzung klar wird: andere Frauen empfinden das Beobachtetwerden als sexuell. Und das ist für sie ein Störfaktor.

Vielleicht liegt es ja an meinem Alter, vielleicht aber auch an einem gewissen Grad von Selbst-Bewusstsein, das sich doch über die Jahrzehnte eingestellt hat. Ich kann mich erinnern, dass ich während meiner Pubertät in einem Tiroler Tal auch am liebsten unsichtbar gewesen wäre, aber das hatte mit der Position meines Vaters zu tun, die Menschen dazu gebracht hat, mich zu beobachten. Und das genau in den Jahren, wo man sich selbst exzessiv unter die Lupe nimmt und in keiner Sekunde seines Lebens wirklich glücklich mit sich selbst ist. Als sexuell habe ich das auch damals nicht wahrgenommen, gestört hat es mich trotzdem.

Doch jetzt bin ich ziemlich zufrieden mit mir, und es ist eher so, dass ich die Sekunden zähle, an denen ich etwas zu bemängeln habe. Manchmal ist es sogar so, dass ich mich miserabel fühle, dann in den Spiegel schaue und mich wundere, dass ich dabei doch noch einigermaßen akzeptabel aussehe. Und weil das so ist, macht es mir auch absolut nichts aus, wenn ich beim Flanieren angesehen werde. Warum auch? Wenn ich mich in ein Straßencafé setze, beobachte ich ja auch. Gleiches Recht für alle.

Ist das ein Zeichen von Gelassenheit des Alters? Fast scheint es mir so. Doch was ich gar nicht verstehen kann, ist, warum sich Frauen jeglichen Alters nicht einfach ihrer Schönheit und Anmut bewusst sein können. Warum sie mit Selbstzweifeln aus dem Haus und durchs Leben gehen, wo sie doch so vieles an sich lieben könnten. Manchmal denke ich, dass die Emanzipation gerade in solchen Situationen über ihr Ziel hinausgeschossen hat. Viel zu weit. Wenn Frauen nämlich nur mehr im Optimierungswahn stecken, weil sie glauben, nicht mehr zu genügen, dann ist in meiner Pippi Langstrumpf-Welt etwas verkehrt gelaufen. Dann hat uns der vermeintliche Kampf um Gleichberechtigung nur von uns selbst weggeführt, anstatt uns zu entsprechen.

Eine Freundin von mir geht nie in Kaffeehäuser, weil sie sagt, dass man sich dort eh nicht unterhalten kann und außerdem komisch angeschaut wird, wenn man alleine dort sitzt. Vielleicht sollte ich sie einmal fragen, woher bei ihr dieses Gefühl kommt. Denn in meinen Augen ist sie eine Klassefrau, die mit Lebendigkeit, Humor und Intelligenz das Straßenbild erheblich anregender machen könnte. Und offenbar muss ich nicht nur Frauen meines Alters dazu ermutigen, das Beige im Schrank zu lassen, sondern auch Jüngeren zurufen: Ihr seid schön, zeigt es und seid stolz darauf!

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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