FREITAG: Verständnis loslassen

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Geneigte LeserInnen dieser wöchentlichen Zeilen dürften inzwischen wissen, dass ich mich selbst zu den Wurzelmenschen zähle. Bedeutet: immer allem auf den Grund gehen möchte. Doch ich lerne.

Während eines Seebesuchs liege ich auf dem Rücken und schauen den Zweigen der Trauerweide zu, wie sie hin und wieder den Sonnenstrahlen ihren Weg frei geben. Das Blitzen in diesen Momenten – wunderbar! Doch dann blitzt es auch in meinem Kopf, weil mein kleines, aber feines Ego eine Frage in mein Gehirn pflanzt, nämlich jene, warum ich bei manchen Unternehmungen, bei denen ich früher um eine Teilnahme gebeten wurde, inzwischen ohne mich stattfinden.
Und meine Gedanken schwingen mit den Zweigen von einer Seite auf die andere – Sie kennen das vielleicht. Zuerst kommt die Frage nach einem möglichen Fehlverhalten, das mir allerdings nicht bewusst ist, weil ich grundsätzlich ein gutmütiger und positiv gestimmter Mensch bin. Als das Pendel auf die andere Seite schwingt, denke ich mir, dass ich vielleicht von einer speziellen Person nicht mehr gemocht werde. An Vier-Augen-Abenden wäre mir aber diesbezügliches nicht aufgefallen. So, wieder auf die andere Seite. Bin ich vielleicht so stumpf und selbstbezogen, dass sich das meiner Aufmerksamkeit entzieht? Das alles geht noch eine Zeitlang hin und her, bis ich zu schwitzen beginne und ins Wasser gehe.
Nass und mit erhöhtem Herzschlag lege ich mich wieder unter die Trauerweide, dieses Mal auf den Bauch. Normalerweise stöpsle ich mich ein, doch dieses Mal sind meine Gedanken laut genug. Und mein Herzschlag. Vielleicht lag es daran, dass meine grüne Decke auf der Wiese lag, aber der Kontakt zum Grün verortete mich auf einmal wieder in der Realität. Plötzlich hatte ich vor meinem inneren Auge, dass ich ja fragen könnte, wenn mich das Verhalten stört. Und dann: „Will ich überhaupt den Grund wissen?“ Dieser Gedanke hat mich aufsitzen und aufs Wasser schauen lassen. Denn das ist absolut neu für mich. Nicht mehr verstehen wollen, sondern einfach akzeptieren. Und das nicht einmal mit einer traurigen Schwingung, sondern leichten Herzens. Denn eines steht fest: Wenn ich nicht mehr zu jeder Hochzeit eingeladen bin, bekomme ich Zeit geschenkt. In der kann ich mich auf meine Themen fokussieren, lesen, Katze streicheln und eventuell früher ins Bett gehen. Nicht, dass sich letzteres inzwischen zu einer Gewohnheit ausgewachsen hätte – aber immerhin arbeite ich schon daran.
Ein weiterer Vorteil: Durch das Nicht-Fragen oder in weiterer Folge Nicht-Kümmern unterbleiben unangenehme Folgeerscheinungen. Vielleicht fühlt sich der andere ertappt und reagiert anders, als man sich das vorstellt. Oder man selbst handelt gekränkt und will sich rechtfertigen. Sie merken schon, was das für einen Rattenschwanz an Möglichkeiten nach sich zieht. Oder ziehen könnte. Wobei ich bei den voreiligen Schlüssen bin. Don Miguel Ruiz rät ja in seinen „Vier Versprechen“, sich vor schnellen Annahmen und Interpretationen zu hüten, weil sie nichts anderes als eine Suche nach Sicherheit darstellen. Und mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben.
Sich damit zu beschäftigen, hat einiges in mir bewegt. Und mich noch achtsamer dafür gemacht, was andere sagen und wie ich darauf reagiere. Auch ob ich überhaupt reagiere. Ganz ausschließen kann man das ja nie, doch man hat immer die Wahl, ob man das nach außen trägt oder bei sich behält. Ich bin noch lange nicht am Ende dieser Entwicklung, doch der erste Schritt fühlt sich gut an. Leicht. Friedvoll. Mein kleines, aber feines Ego ist baden gegangen.

Über die Autorin

Claudia Dabringer

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