Was das Ur-Übel mancher Probleme der Zeit ist, warum Vernunft nie sexy ist und an welchen Grenzen sich die Geister scheiden, erzählt Andrea Steinwender.
VOLL50: Haben mit voll50 Begierden und Begehrlichkeiten ausgedient? Falls nein, warum nicht?
ANDREA STEINWENDER: Sollte ich mit 50 keine Begierden oder Begehrlichkeiten mehr haben, wäre ich doch praktisch tot. Natürlich verändern sich diese im Laufe des Lebens, Begierden aus den 20er und 30ern haben sicher nicht mehr den Stellenwert von damals, die Entwicklung eines Menschen verändert diesen selbst genauso wie seine Begierden. Ich nehme mich nicht mehr so ernst und gebe mich manchen Begehrlichkeiten gerne hin, ohne groß darüber nachzudenken – und genieße sie. Schließlich hatte ich 50 Jahre Zeit, abzuwägen und darüber nachzudenken – jetzt genieße ich – zum Beispiel eine meiner Begehrlichkeiten, die in den letzten 20 Jahren zu kurz kam: mir mehr Zeit für mich selbst zu nehmen, in „voll Fünfzig Zügen“.
VOLL50: Worüber kannst du dich noch aufregen?
ANDREA STEINWENDER: Es gibt eigentlich nur eines, worüber ich mich wahnsinnig aufrege: dass eine Kategorie von Menschen denken, sie sei wertvoller als andere und dass ihre Wahrheiten die einzig Richtigen wären. Sei es die Hautfarbe, die Herkunft oder auch die Religion. Wir sind alle gleichwertige Menschen, egal woher wir kommen, welche Hautfarbe, Kultur oder Religion wir haben. Diese engstirnigen Menschen sind für mich wirklich das Ur-Übel so mancher Probleme in unserer Welt, und offenbar lernen wir leider nicht viel aus der Geschichte, um es heute besser zu machen.
VOLL50: Wann ist Vernunft mit voll50 sexy?
ANDREA STEINWENDER: Bei dieser Frage musste ich wirklich lange überlegen. Kann Vernunft sexy sein, für mich widerspricht sich das. Ich bin ein sehr gefühlvoller und emotionaler Mensch, der sehr oft aus dem Bauch heraus entscheidet. Natürlich entscheidet das Leben manchmal, dass Vernunft die bessere Wahl für einen selbst oder auch für das Umfeld, in dem man lebt, zu sein scheint, aber „Vernunft“ beschreibt eine sehr rationale Weise der Entscheidung, die ich vermeide, wenn es möglich ist. Muss ich der Vernunft folgen, geht „sexy“ verloren!
VOLL50: Welcher Stern hat dich bislang begleitet?
ANDREA STEINWENDER: Der Stern der Hoffnung. Oft ging es bergauf und bergab in meinem Leben, manchmal schien es keinen Ausweg zu geben, doch in meinem tiefsten Inneren hatte ich immer jede Menge Liebe, die mir auch immer wieder die Hoffnung zurückbrachte und mich stets durchs Leben geleitete.
VOLL50: An welcher Grenze scheiden sich mit voll50 die Geister?
ANDREA STEINWENDER: An einer von anderen gesetzten Grenze. Das Leben an sich setzt ja schon eine Grenze, die mit dem Tod endet. Ich denke, vor allem geistige Grenzen sollten wir meiden beziehungsweise überschreiten. Gegen diese Grenzen müssen wir ankämpfen, sie überschreiten und uns öffnen für Neues, Verständnis füreinander aufbringen und nicht gegeneinander arbeiten. Das fängt in der Familie an und zieht sich durch unser kulturelles und politisches Leben und nicht selten bringt es uns an unsere eigenen Grenzen.
Die Menschlichkeit und Geradlinigkeit von Andrea Steinwender schätze ich sehr und bleibt mir gut im Gedächtnis.
Ich lernte sie im Tanzstudio NADEA in der Glockengasse 4c kennen. Damals durch die orientalische Tänzerin Lucia Nadia Cipriani. Nun sind schon viele Jahre vergangen…